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VTMÖ-Stellungnahme zur Urheberrechts-Novelle 2021

Nach jahrelangem Gezerre auf den Fluren des Europäischen Parlaments wurde 2019 die EU-Copyright-Directive veröffentlicht. Das eine Ziel war eine Stärkung der Rechteinhabenden gegenüber Online-Plattformen (Schließung des "Value Gap"), das zweite Ziel die Klärung der Ansprüche von Artists bei Online-Nutzung von Musik. In Österreich ging der jüngste Entwurf kürzlich in Begutachtung – drei Monate nach Ablauf der Frist zur Umsetzung in ganz Europa.

Der nunmehr offiziell vorliegende österreichische Gesetzesentwurf ist aus unserer Sicht um vieles besser als die im letzten Winter kursierenden ersten Entwürfe. Leider gibt es aber immer noch ein paar Punkte, bei denen die Interessen des Konsument*innenschutzes höher gewichtet werden als jene der Kreativen. Auf diese Punkte haben wir als VTMÖ uns bei unserer Stellungnahme konzentriert:

Stellungnahme des VTMÖ

Allgemein

Der VTMÖ vertritt die Interessen von aktuell 175 kleinen und mittleren Musiklabels, Musikverlagen und Musikproduzent*innen aus Österreich. Etwa die Hälfte der von uns vertretenen Kreativzellen sind EPU’s, wo dieselbe Person sowohl Urheber*innenrechte, Interpret*innen-Leistungsschutzrechte als auch Produzent*innen-Leistungsschutzrechte besitzt. Etwa 85% der von uns vertretenen Kreativzellen werden von Personen geführt, die als Interpretin oder Interpret tätig waren, bevor sie das Label gegründet hatten oder die neben der Labelmanagement-Tätigkeit nach wie vor aktive Interpretinnen oder Interpreten sind.

Dies bedeutet, dass bei Independent-Labels und -Verlagen in Österreich typischerweise Verträge mit sich selbst geschlossen werden oder von Musiker*in zu Musiker*in. Damit wird die Zusammenarbeit zwischen Künstler*in und Produzent*in meist von der Überzeugung getragen, gemeinsam in einem Boot zu sitzen und es gibt meist großes Verständnis für die Bedürfnisse und Interessen der „anderen Seite“.

Aus diesem Grund unterstützt der VTMÖ seit vielen Jahren die Initiativen der Artists für ein Vertragsrecht, das aber in ausgewogener Weise die Interessen beider Seiten berücksichtigen muss: Faire Ertragsbeteiligung und klar verständliche Verträge einerseits – Rechtssicherheit bei der Verwertung und Handlungsfähigkeit am Markt andererseits. Der vorliegende Entwurf erfüllt in unseren Augen diese Anforderungen bei jenem Teilbereich der Novelle, der das Vertragsrecht betrifft.

Im Entwurf vom Dezember 2020 war ein über Verwertungsgesellschaften zu realisierendes direktes Vergütungsrecht für Artists vorgesehen. Wir begrüßen, dass dies in der aktuellen Fassung nicht mehr aufscheint. Wir hoffen, dass dieses Element der Novelle trotz des fortdauernden Drucks von verschiedenen Seiten nicht doch wieder Eingang in die Endfassung der Novelle finden wird.

Die Möglichkeiten, von großen Internetplattformen faire Entgelte bei Nutzung von geschützten Werken zu erzielen, sind für kleine Musiklabels mangels Marktmacht von vitaler Bedeutung. Die in der EU-Richtlinie formulierten Regelungen zur Plattformhaftung stellen eine gute Problemlösung dar und wir wünschen uns, dass diese Richtlinie möglichst wortgetreu umgesetzt wird. Der vorliegende Entwurf enthält betreffend Plattformhaftung leider einige Elemente, durch die das beabsichtigte Ziel (Schließen des „Value Gaps“) verfehlt wird.

Anzumerken ist, dass bereits auf EU-Ebene im Verabschiedungsprozess der Copyright Directive umfangreiche Diskussionen stattgefunden haben, in deren Rahmen alle Interessensgruppen lautstark ihre Argumente eingebracht hatten. Die schließlich verabschiedete Richtlinie stellt bereits einen Kompromiss unter Abwägung der verschiedenen Interessenslagen dar. Es widerspricht dem Geist der Richtlinie, wenn grundlegende Ziele nicht erreicht bzw. verwässert werden, weil auf EU-Ebene verhandelte Kompromisse wieder aufgeschnürt werden, um z.B. die Interessen von Konsument*innen stärker zu gewichten.

Unsere detaillierte Stellungnahme beschränkt sich auf jene Punkte des § 89, die uns besonders wichtig erscheinen:

Anspruch auf Schadenersatz bei Verletzung der Rechte (§ 89a)

Eines der Ziele der EU-Richtlinie war es, die großen Plattformen zu zwingen, Werknutzungsbewilligungen zu erwerben. Der im vorliegenden Gesetzesentwurf vorgesehene Schadensersatz lediglich in Höhe der ohnedies zustehenden Entgelte ist nicht geeignet, die Plattformen an den Verhandlungstisch zu bewegen. Es braucht vielmehr eine Mischung aus Motivation zur Vorablizenzierung und nachteiligen Folgen, wenn eine solche nicht erfolgt ist. Es braucht eine Gesetzeslage, die auch kleine Musiklabels ermächtigt, Lizenzverträge mit substanziellen Nutzungsentgelten zu verhandeln. Es braucht eine gesetzliche Grundlage für Verhandlungen auf Augenhöhe, damit kleine Musiklabels nicht einseitigen und alternativlosen Angeboten ausgesetzt sind.

Bei Punkt 2 („Beurteilung der Verhältnismäßigkeit“) fordern wir die Streichung der Textstelle „sowie die Anliegen der Nutzer“, denn hier geht es ausschließlich um die Haftung der Plattformen gegenüber den Rechteinhabenden. Wir sehen bei der Bemessung der Verhältnismäßigkeit von Bemühungen der Plattformen betreffend vorbeugender Maßnahmen zur Verhinderung unberechtigter Nutzung sowie von eventuell gebührenden Schadenersatzleistungen keinen Zusammenhang mit den Anliegen der Nutzer*innen. Weiters verweisen wir an dieser Stelle auf unsere Ausführungen unter „Generelle Überlegungen zu den Anliegen von Nutzer*innen“ auf Seite 4 dieser Stellungnahme.

Schutz der Anliegen von Nutzern großer Online-Plattformen (§ 89b)

In Absatz 3 werden Plattformen bei Nutzung von max. 15 Sekunden eines Musikwerkes von der Pflicht befreit, solche Uploads automationsunterstützt zu sperren. Dies ist für uns eine katastrophale Ausnahmebestimmung und bedeutet eine große Belastung für die Rechteinhabenden, wenn sie wie in Vergangenheit solche Nutzungen eigenständig entdecken und deren Takedown wieder und wieder einzeln verlangen müssen, statt sich auf ein dauerhaftes Staydown verlassen zu können.

Mit dem Erfolg der Online-Dienste „TikTok“ und „YouTube Shorts“ wurde die Nutzung solcher „kleiner Ausschnitte“ immer häufiger. Auf den erwähnten Plattformen sind 7 bis 15 Sekunden die üblichen Längen eines Großteils der Werknutzungen. Es wird allgemein erwartet, dass dieser Trend zu sehr kurzen Werknutzungen in Zukunft noch stärker werden wird.

Weiters erwarten wir, dass es sehr bald üblich würde, mehrere solcher „kurzer Auszüge“ so geschickt aneinanderzureihen, dass am Ende eine kumulierte Nutzung viel längerer Ausschnitte eines Werkes vorliegt und dies auch zulässig wäre.

Wir verlangen daher die Streichung der Ausnahmen für „kleine Ausschnitte“.

In Absatz 4 wird die Möglichkeit zum ungeprüften Upload geschützter Inhalte geschaffen, indem Nutzer*innen vorab erklären, es würde sich um eine Parodie etc handeln. Für dieses Preflagging soll das simple Anklicken eines Häkchens genügen. Diese allzu einfache Möglichkeit des „Durchklickens“ stellt eine Einladung zum Missbrauch dar.

Auch beim Preflagging geht es um unverhältnismäßig großen Aufwand für kleine Musiklabels, wenn sie wieder und wieder Takedowns verlangen müssen, statt sich auf ein dauerhaftes Staydown verlassen zu können.

Wir verlangen daher die Streichung der ungeprüften Preflagging-Funktion.

Vielmehr mögen Plattformen verpflichtet werden, bei von Nutzer*innen als Parodie etc gekennzeichneten Uploads geschützter Inhalte eine Einzelfallprüfung durch Menschen durchzuführen und sowohl für Nutzer*innen als auch für die Rechteinhabenden brauchbare Routinen des Beschwerdemanagements zu implementieren.

Generelle Überlegungen zu den Anliegen von Nutzer*innen

Wenn wir auf unsere Rechte bei der Gewährung von Nutzungserlaubnissen geschützter Inhalte bestehen, möchten wir klarstellen, dass wir keinesfalls den auch für uns sehr hoch gewichteten Grundwert der Meinungsfreiheit einschränken wollen. Doch wenn geschützte Musik im Vordergrund einer Nutzung steht, geht es wohl nicht um Meinungsfreiheit, sondern um eine Vordergrundnutzung von Werken, deren Rechte anderen gehören.

Musik im Hintergrund wiederum dient so gut wie immer der Präsentation des Lifestyles von Nutzer*innen, denn es ist nicht notwendig Musik zu unterlegen, um eine Meinung zu äußern.

Es geht also auf der einen Seite um hedonistische Selbstinszenierung mit Hilfe der kreativen Werke anderer und auf der anderen Seite um Kreative, die mit den Erträgen ihrer geschützten Werke (Erwerbsarbeit) ihren Lebensunterhalt finanzieren müssen.

Dies möge bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit verschiedener Interessen bitte berücksichtigt werden.

Download Gesetzestext

Download Erläuterungen

Textgegenüberstellung

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