John Hult 93012 Unsplash

Buchrezension: Spotify Teardown. Inside the Black Box of Streaming Music.

Maria Eriksson/Rasmus Fleischer/Anna Johansson/Pelle Snickars/Patrick Vonderau
The MIT Press, Cambridge/London 2019
18,99 Euro bei Thalia; 16,99 Euro bei Amazon

Die zusammengetragenen Fakten sind immens, die Beschreibung der Experimente zum Erkenntnisgewinn sehr transparent und die gezogenen Schlüsse nachvollziehbar. Entstanden ist ein Thriller, der bezüglich Inhalt und Spannung keine Wünsche offenlässt – und alle Illusionen zu Grabe trägt.

Minutiös ist die Entwicklung von Spotify recherchiert und die jeweilige Änderung der Ausrichtung und Strategie je nach Investoren. 4 Jahre haben die Autoren – 2 Uni-Professoren und 3 Studenten – an dieser Studie gearbeitet, von 2013 bis 2017 und gefördert mit 1 Mio. Euro vom schwedischen Forschungsrat. Spotify hat versucht, die Förderung zu unterbinden mit dem Hinweis auf einen Angriff auf die Firma und Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen. Dass die Mittel nicht gestrichen wurden, nötigt Respekt ab: Spotify gilt als Inbegriff schwedischer High-Tech-Innovationen und hat beträchtlichen gesellschaftlichen und politischen Einfluss. Spotify zählt zu den (wenigen) schwedischen „Einhörnern“, die mehr als 1 Billion Dollar wert sind. Der schwedische Ministerpräsident verteilte bei Auslandsbesuchen Spotify Premium Accounts und lobte vor der Deutschen Kanzlerin Angela Merkel Spotify als Inbegriff schwedischer High-Tech-Innovationen. Dabei waren die beiden schwedischen Gründer Daniel Ek und Martin Lorentzon seit 2009 nur mehr Minderheitseigentümer. Die Firma war ab 2009 und bis zum Börsengang 2018 mehrheitlich in den Händen von Venture Kapital.

Der Weg vom 2006 gegründeten Portal für das Streamen von Musik – verwendet wurden bei der Gründung 2006 die unlizenzierten Titel, die auf den Rechnern der Gründer waren – über die verschiedenen Stationen exorbitanter Investitionen und damit einhergehender strategischer Änderungen der Firmenpolitik zeigt klar, dass es immer um alles, aber nie um Musik gegangen ist.

Bis 2009: Vom Werbeverkauf über media distribution platform für Videos zu Film

Das Firmengeflecht wurde von Beginn 2006 an steuervermeidend in Zypern angesiedelt. Spotify AB war eine Software Firma, Spotify Sweden AG war auf den Verkauf von Werbung ausgerichtet. 2007 ging es dann um eine „media distribution platform“ mit dem Hauptziel Verbreitung von Videos.

2008/2009 war die Phase der Legalisierung mit Büros in London, Berlin und Madrid; in 8 europäischen Ländern wurde an Verträgen mit Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften gearbeitet. Probleme gab es in Deutschland, das 2012 folgte und Italien (2013).

2009, im Jahr der Finanzkrise, trudelte Spotify wirtschaftlich in Richtung „Spotify for movies“ mit Voddlers Beta-Version ihres Film-Services und 100 Mio. Dollar Investment im Rücken. Spotify setzte auf Subskriptionen, machte Deals mit 2 schwedischen Telekommunikationsfirmen und die Gründer gaben ihre Mehrheit ab. Man distanzierte sich von Piraterie und setzte auf Bezahlung per Song. Geplant war ein weitreichendes Merchandising von Tickets bis zu T-Shirts. Es gab mehr britische User als schwedische. 2009 wurden die Betreiber von Pirate Bay mit einem Jahr Gefängnis und 3 Mio. Euro bestraft; Spotify dagegen wurde als die Lösung für die Musik gefeiert. Vergessen war der Beginn, der sich in nichts vom Geschäftsgebaren von Pirate Bay unterschieden hatte. Zeitgleich wurden die Piraten ins EU-Parlament gewählt: mit überwiegend schwedischen Wählern. Spotify profitierte von diesem Hype mit überdurchschnittlicher medialer Aufmerksamkeit. Investitionssummen bis hierhin neben den oben erwähnten 100 Mio. Dollar: 22 und 50 Mio. Dollar.

2010-2011: Plattformisierung und Socializing im Facebook-Modus vor US-Launch

2010/2011 waren geprägt vom frustrierenden Warten auf den US-Launch. Das änderte sich erst, als Warner 2011 von einem Russen gekauft wurde und Sean Parker (Napster/Facebook) mit einem 16 Mio. Dollar Investment bei Spotify einstieg. 2011 holt Mark Zuckerberg Daniel Ek auf die Bühne und Musik wird zu „einem der am meisten sozialen Dinge“. Nicht alle stimmten zu. 2 Monate später gab es Spotify Free für alle mit Facebook-Account. Es folgt die Plattformisierung von Spotify: Der Jargon wechselte von App/Access zu „platform“ und „manage music“. Die Ausrichtung wurde, analog zu Facebook, „social“.

Auf Intervention der Majors, die vor dem US-Launch steigende Subskribenten-Zahlen wollten, wurde 2011 Spotify Free eingeschränkt auf 10 Stunden pro Monat und 5x streamen pro Track. Allerdings gab es die mobile Version auch für Free-Nutzer. Es flossen 100erte Millionen Dollar Royalties an Majors. Nur Stunden nach dem Vertragsabschluss mit Warner wurde der US-Launch verkündet. Der Hype war das freie Streamen von Musik, genau das, das vorher den US-Auftritt um Jahre verzögert hatte. Die Presse war enthusiastisch wegen der Schnelligkeit des Streamings: der Track spielt innerhalb von 50 Millisekunden. Der US-Launch brachte 100 Mio. Dollar frisches Venture Kapital, mehr als in den 3 Runden vorher. Der Wert von Spotify steigt auf 1 Billion Dollar.

2011 kamen Dänemark, Belgien, Österreich und die Schweiz dazu; 2012 waren die Verhandlungen mit Rechteinhabern in Deutschland abgeschlossen, weiters Australien und Neuseeland. Erst 2013 folgten Osteuropa, Lateinamerika, Süd-Ost Asien.

2013: Neue 250 Mio $ für ein nicht profitables Unternehmen

2013 wurde Spotify als „Pionier der Musikindustrie“ gefeiert und der strategische Weg führte vom Vertrieb zum Service und zur Zentralisierung, die nicht kommuniziert wurde. Neue Investoren: Goldmann Sachs, Coca Cola. Neus Geld: 250 Mio. Dollar für ein Unternehmen, das noch immer weit entfernt von profitabel war. Nicht lineares, sondern exponentielles Investment – für die geplante Rolle auf Weltführerschaft? 2013 Deals mit Autofirmen, den Anfang machten Ford und Volvo, später folgen BMW, MINI, Uber. Als neue Länder kamen 2013 Philippinen, Brasilien, Kanada, Russland dazu.

2014: Trudeln zwischen Videos und Podcasts, vom Vertrieb zur Media Firma

2014 bietet Spotify Videos und Podcasts an. Die Kooperation mit dem schwedischen Telekom-Giganten Telia Sonrea verdoppelt den Wert auf 8,5 Billionen Dollar. Gerichtet gegen Apple Music, das als die wärmere, menschlichere Alternative wahrgenommen wurde.

Die nächste Akquise 2014 war die Musik Analyse Firma Echo Nest und Algorithmen hielten Einzug in Spotify. Ort, Tag, Jahreszeit und Wetter: der User ist voll erfasst und ein Jahr später sind diese Daten auch in Googles Cloud. Die Fusion von Spotify und Echo Nest 2014 war strategisch und zusammen mit der Facebook-Kooperation ein Schritt vom Vertrieb zu einer sozial agierenden Media Firma.

Die Rolle von Spotify ist so gefestigt, dass nicht einmal „Swiftgate“ daran rütteln kann: Taylor Swift entfernte im November 2014 ihre Songs von Spotify, um gegen werbefinanzierte Angebote zu protestieren. Erhältlich waren ihre Songs während dieser Zeit nur bei Apple Music. Der Free-Service von Spotify unterminiere der Wert der Musik, sie selbst stehe aber dafür, dass ein Album seinen Preis haben muss. Im Juni 2017 gab es offenbar eine Einigung und Taylor Swifts Titel waren wieder bei Spotify erhältlich.

2015: Algorithmen und Googles Cloud

Seit 2015 verwendet Spotify Technologie, die das Verhalten der User aufzeichnet – der Wandel vom Musik-Provider zum privaten Daten-Händler ist vollzogen und wird seit damals konsequent ausgebaut. Bei den Jobangeboten dominierten Music Editors und Playlist Creators. Spotify hatte Tunigo gekauft, die App integriert und auch den Slogan: „Musik für jeden Moment“. Jetzt geht es nicht mehr um die beste Musik: die Qualität hängt ab vom Kontext. Tunigo lieferte die Experten, Echo Nest die Algorithmen. Neu eingeführt wurden die wöchentlichen Playlists. Discover Weekly beispielsweise erinnert an traditionelles Radio, im von langen Autofahrten bewegten Amerika ein wichtiger Faktor. Was vorher Songza war und Tunigo, ist jetzt das „neue“ Spotify.

Ein Auftritt in New York 2015 kündigte das Streamen von Videos und Filmen an: nach nur wenigen hundert Zugriffen versank das aber sehr schnell wieder in der Versenkung. Erfolgreicher waren die Deals mit Spiele-Produzenten. „Listen while you play“ versprach die Sony Play Station.

2018: Im Himmel der Finanzwelt

Am 3. April 2018 geht Spotify an die Börse – mit 150 Millionen Usern und 30 Mio. Songs.

Was eigentlich wird verkauft?

Thema „soft biopolitics“: Die referierten Details zeigen, dass Spotify nicht Musik, sondern das Streamen als sehr persönliche und Glück versprechende Praxis verkauft. Positive Psychologie und eine quasi intime Beziehung zum Service haben hohen Wert. Alleine die Titel der angebotenen Playlists wie „Afternon Energy?“ etc. suggerieren persönliche Zuwendung. Dabei zeigen die Experimente, dass der Service kaum personalisiert ist. Das ist für die Firmenpolitik auch nicht von Interesse. Es geht nur um die Monetarisierung, die in dem Moment passiert, wenn der User auf „Play“ drückt. Im Auftritt von Spotify werden Mythen von Gleichheit und individueller Leistung gefeiert. Politischen Themen wie Trumps Reiseverbote wird mit der „Refugee Playlist“ 2017 begegnet; bei der US-Wahl 2016 gab es den Podcast „clarify“ für junge Wähler. Dies alles sind nach Ansicht der Autoren Beispiele dafür, wie Medien-Unternehmen soziale Ungerechtigkeit kapitalisieren und Ereignisse politisch aufladen.

Datenmengen jenseits des Vorstellbaren

Die Autoren tragen viele beeindruckende Zahlen zusammen. Ein Beispiel: 2016 sagte ein Spotify-Produkt-Manager, Spotify verarbeite mehr als 38 Terabyte eingehender Daten täglich und speichere dauerhaft mehr als „70 petabytes“ an Daten über Songs, Playlists etc. Diese Datenmenge entspricht 930 Jahre Videos in hoher Qualität. 700.000 Events (Interaktionen) pro Sekunde weltweit werden abgewickelt, dafür werden 12.000 Server in 4 Datenzentren weltweit verwendet. Dabei wurde die verarbeitbare Datenmenge seit dem Zusammenschluss mit Googles Cloud Plattform 2015 (und die weitere Verwendung von Google Services wie virtuelle Maschinen und Database Management Systeme) noch wesentlich vergrößert.

Das Musik-Experiment wird zum multimedia-unterstützten Computer Experiment. Generieren you tube und Facebook Profit für Plattform-Benützer, ist Spotify ein Service für Labels und Artists ohne user-generierten Inhalt.

Durch den Einkauf von Merlin bei Spotify erhalten die Indies immerhin mehr als die 0,0004 Cent pro Stream. Die Sklaven haben sich organisiert und sind mit dabei: Am Prinzip der zynischen Kapitalisierung kreativer Leistung ändert das jedoch nichts. Auch nichts an der Formung einer kollektiven Masse, die gnadenlos ausgespäht und ausgebeutet wird.

Playlists mit Hintergrundrauschen

Ein Test, der die mitgeschickten Packages (Datenaustausch, senden und empfangen) von Spotify zählte, zeigte folgendes Ergebnis: Während 20 Minuten Anhören von Musik wurden bei einem neuen Spotify-Account 1.618 laufende Packages gezählt, bei einem älteren Spotify-Account 11.653. (Grund: ein Teil der Musik war im Cache). Seit 2016 sind Fake-Artists in Spotify-Playlists nachgewiesen (Cambridge Analytics). Audiodaten enthalten vielen Metadaten. Diese sind ein Schlüsselelement für zeitgenaue algorithmische Wissensproduktion. Die Verwendung der Metadaten bleibt ungesehen, wenn man Spotify nur als Plattform sieht.

Untersucht werden auch die Playlists vom Spotify Team, von Filtr (Sony), Digster (Universal) und Topsify (Warner). Die hauseigenen Playlists sind auf Zielgruppen zugeschnitten und können von Werbekunden gesponsert werden. Deren Unabhängigkeit wird betont. Die „Personalisierung“ konnte von den Autoren nicht verifiziert werden. Sie installierten 32 bots für unterschiedliche Altersgruppen, von 93 bis 13. Ergebnis: Nur bis zu 2% altersspezifische Vorschläge. Benachteiligt sind selbstverständlich unbekannte Musiker.

Doch der Hype um Spotify ist ungebrochen. Das Jugendmagazin „jetzt“ der Süddeutschen Zeitung schreibt am 26.4.2019, affirmativ jubelnd: „Spotify-Playlists sind das neue MTV“.

Herausforderungen für die Autoren

Spannend sind die Beschreibungen der Experimente der Autoren und das Umgehen mit enormen Datenmengen: 15.000 Data Points täglich überfordert die Autoren anfangs. Und umrahmt von wiederkehrenden frustrierenden Fragen nach der adäquaten Auswertung bemerkt die Gruppe, wie sie der Fiktion der Technik auf den Leim geht: das „menschliche“ Herangehen an technik-induzierte Fakten interpretiert eben auch „menschliche“ Dinge in die Ergebnisse.

Die Kritik der Autoren macht beispielsweise auch vor den jährlichen Zahlen der ifpi nicht halt: Spotify als Inbegriff des Problems, die Zahlen von digitalen Services mit den bisherigen analogen Daten gleichzusetzen; außerdem gibt es keine Radio-Zahlen in den ifpi-Berichten. (2017)

Auch die Diskussion darüber, wie Algorithmen Geschmack, Wissen und kulturelle Praktiken konstituieren, wird aufgenommen. Konstatiert wird das Definieren und Leiten großer Teile der Bevölkerung: „Sie organisieren die 140 Mio. individuellen User zu kollektiven Formen.“

Und das Fazit?

Spotify nutzt Musik lediglich als Kontext für aus der Finanzwelt übernommene Business-Modelle (Broker, Arbitrageur), die auf Einkommen aus Werbung basieren. Benötigt wird lediglich ein Sprungbrett, hier die Musik, und mit dem nötigen Kapital entsteht daraus ein sehr lukrativer Datenhandel in Form von Plattform-Kapitalismus und unregulierter globaler Vermehrung von Intermediären Inhalten. Nicht zu vergessen gesellschaftlich-politische Nebenprodukte wie kreieren, kontrollieren und lenken von globalen kollektiven Massen.

Als ein Fazit der Autoren kann ihre satirische Aktion „Songblocker“ betrachtet werden. Bei der 13. Transmediale 2017 in Berlin, dem Festival für Kunst und digitale Kultur, traten sie als Startup auf und präsentierten eine neue Applikation: Songblocker sperrt Musik aus und würde die Art, wie User Werbung hören und „genießen“ können, revolutionieren. Die Autoren nehmen mit dieser Satire auch Bezug auf die Diskussionen über „die anhaltende und skandalöse Praktik eines gegen die Werbung gerichteten Terrorismus“. Sie priesen ihren Songblocker als „das moralisch korrekte Gegenteil von Werbe-Blockierung, das dem unkontrollierten Ausbluten der content provider“ entgegen trete. Ironisch überspitzt präsentierten die Autoren mit dieser methodischen Provokation eine Zukunftsvision der Medien-Giganten: User zahlen für Werbung und nur für Werbung. „Tech startup reconceptualizing the experience of listening. Songblocker gives you 100% ads when listening to Spotify. No music. No disturbance. Full support.“ Die Autoren hatten sogar die 16.000 Klicks auf die Vorstellung von Songblocker auf you tube gefaked: gekauft bei Click-Firmen in Indonesien. Sogar eine Premium-Version wurde versprochen.

Wenn diese Vision Wirklichkeit geworden ist, gibt es vielleicht wieder eine Zukunft für die Musik.


facebook share image twitter share image linkedin share image