Value Gap wird kleiner
Nach jahrelangem Gezerre wurde 2019 eine richtungsweisende EU-Richtlinie zum Urheberrecht veröffentlicht. Mit Verspätung – die Frist zur Umsetzung in nationales Recht ist bereits vor Monaten abgelaufen – ist die österreichische Novelle nun endlich beschlussreif. Eine Bewertung aus Sicht des VTMÖ mit Blick auf die Interessen der kleinen Musiklabels.
Was war das für eine Lobbying-Schlacht in Brüssel! Jahrelang flogen die sprichwörtlichen Fetzen, bis es im Jahr 2019 endlich zur Einigung auf eine EU-Richtlinie kam. Die wichtigsten Ziele aus Sicht der Indie-Musiklabels waren das Schließen des „Value Gaps“ bei der Online-Verwertung und eine faire Beteiligung der mitwirkenden Artists an diesen Verwertungserlösen. Die wichtigsten Interessengruppen: Die Internetkonzerne, die Musiklabels und -verlage, die Artists sowie der Konsumentenschutz. Selbstverständlich mussten alle Seiten Abstriche von ihren Forderungen machen.
Paradoxe Allianzen
Es war auch nicht verwunderlich, dass sich dieses Schauspiel des öffentlichkeitswirksamen Aneinandergeratens der verschiedenen Interessen in den einzelnen Mitgliedsländern wiederholte, als es an die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ging – auch bei uns in Österreich. Bis zuletzt wurde gestritten, paradoxe Allianzen inklusive: So agierten Internet-Konzerne und Konsumentenschützer in trauter Einigkeit, wenn es um möglichst breite Ausnahmen von der Lizenzierungspflicht für „User Uploaded Content“ geht. Andererseits gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen Artists und Labels beim fairen Vergütungsanspruch statt gemeinsamer Bemühungen, um die Haftung der Online-Plattformen möglichst umfassend und lückenlos zu definieren.
Wir sitzen im selben Boot
Dieser Leitspruch definiert die Haltung der allermeisten Indie-Labels gegenüber Artists: Wir wollen unter fairen Vertragsbedingungen gemeinsam spannende Musik produzieren. Wir wissen zwar, dass es auch in unseren Reihen vereinzelt schwarze Schafe gibt, die mit uralten Vertragsmustern arbeiten und Artists in zu geringem Maß an Online-Erträgen beteiligen, doch das sind Ausnahmefälle. Vielmehr haben wir Indies seit Jahren den Dialog über faire Verträge geführt und waren auch bereit, deutlich weitergehende vertragsrechtliche Bestimmungen im neuen Gesetz zu akzeptieren. Schließlich gilt bereits heute in vielen unserer Verträge 50:50 bei Online-Erträgen.
Direktvergütungsanspruch für Artists kommt nicht
Die Interessensverbände der Artists sind enttäuscht, weil sie starken Druck gemacht hatten für eine Neuregelung der Online-Einkünfte. Sie forderten über Verwertungsgesellschaften zu realisierende Direktvergütungen. Bei allem Verständnis für die Anliegen der Artists: Diese Forderung konnten wir Indie-Labels nicht unterstützen, weil dies bloß die Verhandlungsposition der Online-Plattformen gestärkt hätte. Wir befürworten jede gesetzliche Regelung, die dem Interessensausgleich zwischen Labels und Artists dient und uns gemeinsam stärkt. Aus dieser Haltung hätten wir viel Verständnis dafür gehabt, wenn sehr konkrete vertragsrechtliche Elemente Eingang in die Novelle gefunden hätten. Das wurde aber interessanterweise von Artistseite kaum verfolgt, zu sehr wurde auf die Verankerung einer Direktvergütung gesetzt.
Streit um die Verteilung von Peanuts ist sinnlos
Das zweite wichtige Ziel der die Novelle auslösenden EU-Richtlinie war es, die Online-Plattformen endlich für faire Lizenzierungen der genutzten Inhalte verantwortlich zu machen. Für uns Indies war dies das wichtigere Ziel, denn solange es bloß Peanuts für die Online-Nutzung (z.B. auf YouTube) gibt, ist der Streit um die Verteilung dieser Peanuts zwischen Labels und Artists bloß mäßig sinnvoll.
Safe Harbour ermöglichte Tech-Giganten und US-Vormacht
Wie konnte es dazu kommen, dass die Plattformen jahrelang operieren konnten, ohne geschützte Inhalte lizenzieren zu müssen? Um dies zu verstehen, blicken wir zurück ins Jahr 1996, als in den USA der „Communications Decency Act“ verabschiedet wurde: Das Internet war noch jung, Breitband so gut wie nicht verfügbar. Diverse Rechtefragen waren noch nicht ausjudiziert, die Unsicherheit groß. Washington wollte die revolutionären Geschäftsmodelle der „New Economy“ fördern und vor schwer kalkulierbaren Haftungskonflikten schützen: Bei „User Uploaded Content“ hafteten fortan jene, die den Content hochgeladen hatten und nicht die Plattformen (solange sie nur die technische Vermittlung erledigten).
Diese Wirtschaftsförderungspolitik war auch sehr erfolgreich, denn bis heute sind die größten und mächtigsten Online-Konzerne in den USA zu Hause. Bloß die Geschäftsmodelle haben sich verändert und die Plattformen sind mittlerweile viel mehr als reine Vermittler – ihre Algorithmen bestimmen, was wir zu sehen und zu hören bekommen.
Mikrocents vs. Nanocents – der Value Gap
Der wichtigste Unterschied zum Jahr 1996 ist aber, dass es heute Streaming-Plattformen wie Spotify, Deezer oder Apple Music mit lizenzierten Inhalten gibt. Die bezahlten Abos sorgen für Mikrocents pro Stream und in Summe für einigermaßen brauchbare Erträge. Auf der anderen Seite stehen jene Plattformen (wie etwa YouTube oder Soundcloud), wo immer noch „User Uploaded Content“ gratis konsumiert wird, weil die Plattformen nicht lizenzieren müssen. Rechteinhabende können dort jene Nanocents pro Stream akzeptieren, die ihnen angeboten werden – oder die Nutzung ihrer Werke gänzlich verbieten. Verhandeln ist zwecklos, denn die Plattformen müssen theoretisch gar nicht und sie wissen genau, dass Kulturschaffende ein großes Interesse daran haben, ihre Werke zu verbreiten.
Bagatellnutzung in Zeiten der Online-Häppchen
Das soll sich nun ändern und die Novelle macht diesen Value Gap auch tatsächlich kleiner, schließt ihn aber leider nicht gänzlich: So werden Online-Plattformen nun Lizenzen für „User Uploaded Content“ erwerben müssen und somit an den Verhandlungstisch gezwungen, wo aus den Nanocents hoffentlich Mikrocents werden. Gleichzeitig hat aber der Konsumentenschutz erreicht, dass bei nichtkommerzieller Nutzung 15 Sekunden als freie Bagatellnutzung gelten werden. Auf der stark wachsenden Plattform TikTok ist ein typischer Beitrag ohnedies genau 15 Sekunden lang und der Trend geht eindeutig zu immer kürzeren Online-Häppchen, weil sich die Halbwertszeit der Aufmerksamkeitsdauer im freien Fall befindet. Wir werden uns die Folgen dieser Regelung genau ansehen und gegebenenfalls auf Abänderung drängen.
Was Parodie ist, entscheide ich selbst?
Grundsätzlich waren Bearbeitungen geschützter Werke in Form von Parodien etc. immer frei. Doch wer entscheidet, was Parodie ist und was nicht? Laut Novelle werden das demnächst jene selbst entscheiden, die das Ding hochladen. Mittels eines „Pre-Flagging-Buttons“ kann ich markieren, dass ich gerade eine Parodie hochlade und schon passiert mein Upload ungeprüft sämtliche Filter. Wir hätten uns vielmehr eine nicht automatisierte Einzelfallprüfung gewünscht. Es wird zu beobachten sein, wie oft dieser allzu einfache Klick missbraucht werden wird.
Abwarten und Evaluieren
Wirklich zufrieden sind wir nicht: Mit Bagatellnutzung und Pre-Flagging sind für Online-Plattformen noch immer viel zu großzügige Schlupflöcher und Grauzonen vorhanden. Es wird sich erst zeigen, ob das nun kommende neue Gesetz jene Augenhöhe am Verhandlungstisch bringen wird, die wir benötigen, um von den Plattformen angemessene Entgelte zu bekommen – für Labels und für Artists gleichermaßen, denn wir Indies werden zusätzliche Einnahmen fair teilen.